Der Tanz auf dem Seil hat einen neuen Fan: mich! Obwohl seltsam: Wie kann ich so hin und weg von etwas sein, das ich so gar nicht beherrsche? Ich habe eine Vermutung: Irgendwie scheint der Grad des Wackelns meiner Slackline direkt proportional mit meiner inneren Ausgeglichenheit in Zusammenhang zu stehen. Je doller, desto cooler. Trotzdem wäre es großartig, wenn ich zumindest einmal drauf stehen könnte … Wie lerne ich Slacklinen? Und warum nur tut es so unglaublich gut?
Shake it baby!
Das wackelt wie eine gezupfte Gitarrensaite! Und zwar jedes Mal, wenn ich meinen Fuß auf das Gurtband stelle, das ich zwischen zwei Bäumen im Park gespannt habe. Der Aufbau war nicht schwierig: Zwei etwa zehn Meter voneinander entfernte Bäume suchen, die zwischen sich einen ebenen, weichen Boden haben. Die spätere Landezone sollte möglichst frei von Wurzeln, Steinen, Scherben oder ähnlichem sein. Den im Slackline-Set enthaltenen Baumschutz auf etwa 30 Zentimeter Höhe fixieren, die Line auf der einen Seite durchfädeln, auf der anderen Seite durch die Ratsche quetschen und richtig festzurren. Jetzt frage ich mich: Wie kriege ich dieses platte Seil verdammt nochmal ruhig gestellt? Unmöglich, aufzusteigen geschweige denn ein paar Schritte darauf zu gehen.
Der Tipp vom Profi lautet: Standbein beim Aufsteigen dicht an das Wackelbein. Das gibt Stabilität – scheinbar. Naja, eine Seiltanz-Azubine ist auch nicht an einem Tag reif für die Manege. Ich atme durch und klammere mich beim Aufsteigen an den Baum hinter mich. Slacklinen soll ein klasse Training für die tiefe Rückenmuskulatur sein. Sobald man es geschafft hat darauf zu balancieren. Davon fühle ich mich noch weit entfernt.
Ich weiß nicht wie, aber nach dem zehnten Versuch, mein rechtes Bein auf die Line zu stellen hört das Zittern fast auf. Ich stehe für ein paar Sekunden auf einem wackeligen Bein, versuche mich auch auf dem anderen oben zu halten. Erstaunlich, ich habe das Gefühl, etwas gelernt zu haben ohne bewusst meinen Kopf einzusetzen. Oder mich körperlich besonders anzustrengen. Eins hab ich beim freien Laufen ohne stützende Hilfe schnell kapiert: Alle Bewegungen der Line sind im Grunde meine eigenen widergespiegelten Bewegungen. Je ruhiger ich draufstehe, je weniger hektisch und ausladend die Bewegungen sind, desto weniger schwingt das Band.
Training für Körper und Seele
Nach zwei geduldigen Stunden schaffe ich acht stolze Schritte. Und spüre jetzt schon, wie der Muskelkater in den Oberschenkeln, im Rumpf und im Rücken zu schnurren beginnt. Von acht Schritten?! Die tiefen, skelettnahen Muskeln, die ganz automatisch die Ausgleichsbewegungen beim Slacklinen ausführen, sind durch langes starres Sitzen oder auch durch übermäßiges Training der großen Rückenmuskeln oft unterentwickelt. Deshalb kann „das bisschen Laufen“ auf der Slackline anfangs durchaus sehr anstrengend werden. Bis die Tiefenmuskulatur wieder wach, flexibel und kräftig genug ist. Bis ich in die Hocke gehen, rückwärts laufen oder gar darauf hüpfen kann, braucht es vor allem eins: viel Geduld und Hartnäckigkeit. Das Schöne auf dem Weg dahin: Slacklinen ist Entschleunigung pur. Die Konzentration ist im Hier und Jetzt, wie zum Beispiel beim Autogenen Training.
Rückwärtssalti, Sprung in den Schneidersitz, gemütliches auf dem Rücken Liegen: Bei so manchen Tricks der Pros fällt einem die Kinnlade herunter – das weiß man vor allem zu schätzen, wenn man selbst schon einmal draufgestanden hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich auf meiner Slackline einmal Salti schlagen werde. Aber eigentlich ist mir das auch schnuppe. Slacklinen ist für mich die schönste Mittagspause, der effektivste Ärgervertreiber, die beruhigendste Meditationssitzung, das unkomplizierteste Sportgerät, die günstigste Version des Rückentrainings und das lustigste Rahmenprogramm beim Grillen.
Fünf Fragen für Slackline-Anfägner
1. Gibt es Lernhilfen für das Slacklinen?
Wie schnell man das Balancieren lernt, hängt von den feinmotorischen und koordinativen Fähigkeiten und Erfahrungen ab. Um ein erstes Gefühl für die Line zu bekommen, darf man sich auch durchaus an der Schulter eines Mitslackliners festhalten, oder sich auf Trekkingstöcke stützen. Experten empfehlen, erst das Stehen auf einem Bein zu üben, bevor man sich an die ersten Schritte wagt. Dazu gehört auch, dass man sich auf das kontrollierte Absteigen konzentriert. Haltungstipps: Aufrecht und locker in Hüfte und Knien stehen, ruhig atmen und den Blick nach vorn (die Ratsche oder besser einen Punkt am Baum fixieren). Die Oberarme horizontal zur Seite strecken, die Unterarme zeigen nach oben – so klappt es mit den Ausgleichsbewegungen am besten. Es geht nicht darum, möglichst schnell die ganze Länge ablaufen zu können, sondern kontrolliert zu balancieren. Wichtig: Pausen machen, wenn Kraft und Konzentration nachlassen.
2. Welche Ausrüstung brauche ich?
Ein Einsteiger-Slackline-Set (Trickline oder Lowline) besteht aus einem 30 bis 50 mm breiten und 10 bis 25 m langen Gurtband mit einer Schlaufe an einer Seite, einer Ratsche für die andere Seite und Baumschutzmatten. Ob schmaler oder breiter ist Gefühlssache, am besten vorher einmal mehrere Breiten ausprobieren. Je breiter die Line, desto Man kann barfuß balancieren, oder mit Schuhen mit dünner Sohle und wenig Profil. Schuhe mit dicker Sohle eignen sich nicht, da sie zu wenig Gefühl bieten. Wer sie beispielsweise im Garten fest installieren möchte und keine passenden Bäume hat, kann sie auch im Boden verankern und über Holzböcke spannen.
3. Was kostet Slacklinen?
Gute Einsteigersets gibt es ab 80 etwa Euro (15 Meter lange Slackline), inklusive sollte immer ein Rundum-Baumschutz sein, damit die Natur nicht darunter leidet, dass wir Spaß haben. Weitere Kosten: keine. Fürs Slacklinen braucht man keine bestimmte Kleidung, zahlt keine Gebühren, und die Ausrüstung hält ewig.
4. Welchen Effekt hat Slacklinen?
Immer häufiger wird die Slackline auch zur Reha etwa bei Rückenpatienten eingesetzt: nicht nur sxtehend, auch mit zwei Slacklines parallel, mit den Armen im Liegestütz etc. Slacklinen wirkt sich nachgewiesen auf das Gleichgewicht, die Koordination, Reaktionsfähigkeit und die tiefen, kleinen Muskeln aus. Sind sie zu schwach und zu wenig reaktionsfreudig, verursachen sie böse Schmerzen. Wenn das große Zittern auf der Line langsam aufhört, ist das ein Zeichen, dass diese tiefen Muskeln wieder anfangen zu arbeiten.
5. Welche Varianten gibt es?
Neben der Lowline oder Trickline, die für den Einstieg gut geeignet ist, gibt es verschiedene Varianten für Fortgeschrittene. Die Schwierigkeit beim Balancieren auf der teils über 100 Meter langen Longline besteht darin, dass sie weniger straff gespannt werden kann und deshalb umso exzessiver schwingt. Zudem muss man sich sehr lange konzentrieren. Die Highline wird wie beim „echten“ Seiltanz in großer Höhe gespannt, ein Hüftgurt mit Verbindungsseil zur Line schützt vor dem Abstürzen. Die Jumpline ist besonders elastisch und erlaubt ähnliche Tricks wie auf einem Trampolin oder mit dem Snowboard. Die Rodeoline ist eine nicht gespannte Slackline, also ein schlappes Gurtband, das nur durch das Gewicht des Slackliners straff wird und deshalb keinen „Schwingstopp“ hat. Eine Waterline ist eine Trick- oder Longline, die über Wasser gespannt wird, und das Absteigen somit zu einer feuchtfröhlichen Angelegenheit macht.
Alles fürs Slacklinen bei Bergzeit: