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Ab ins ewige Eis

Kandersteg – Unterwegs im schweizer Eiskletterparadies

7 Minuten Lesezeit
Kandersteg hat sich in den letzten Jahren zu einem echten Eisklettermekka gemausert. Bergzeit-Eiskletterexperte Franz Mösbauer hat sich das vielseitige Gebiet rund um Öschinenwald, Breitwangflue, Almenalpfall und Öschinensee genauer angesehen.

Im Berner Oberland – wo das markante Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau beheimatet ist und wo man sich am Konkordiaplatz in arktische Gefilde versetzt vorkommt – hat sich seit den 80er Jahren die Gegend um Kandersteg zu einem wahren Eisklettermekka entwickelt. Von großzügigen Eislinien über kombinierte Abenteuerrouten bis hin zum sportlichen Mixedklettern ist für jeden Eiskletterer etwas dabei. So kann es schon mal vorkommen, dass der ein- oder andere vor seinem ersten Besuch in Kandersteg von der großen Auswahl etwas überfordert ist. Um Euch den Besuch in Kandersteg etwas zu erleichtern, gebe ich nachfolgend einen kleinen Überblick der Routen.

Eisklettern am Öschinenwald

Für einen ersten Besuch eignet sich meiner Meinung nach der recht überschaubare Sektor Öschinenwald sehr gut. Dorthin hat es auch mich das erste Mal verschlagen. So ging es im vollbepackten Auto mit den nötigen Eisgeräten und meinen neuen steigeisenfesten Schuhen auf ins Abenteuer. Nachdem wir, von Bern aus kommend, überall richtig abgebogen sind und endlich einen gebührenfreien Parkplatz ergattern konnten, stapften wir durch den Wald los, stets dem blauen Eis entgegen.

Bei den Fällen angekommen, bin ich erstmal überwältigt und erstaunt wie viele Seilschaften pro Quadratmeter Eis an einer Wand Platz finden können. Der Sektor Öschinenwald umfasst aber zum Glück eine recht große Auswahl an Routen in verschiedenen Schwierigkeitsgraden.

Öschinenwald mit Rattenpissoir (links) und Arbonium (rechts). | Foto: Franz Mösbauer
Öschinenwald mit Rattenpissoir (links) und Arbonium (rechts). | Foto: Franz Mösbauer

So beginnt das eisige Vergnügen mit der etwas leichteren Routenkombination von Grimm/Groll (WI4, 180 Meter). Den rechten Abschnitt bilden zum einen die Klassiker Arbonium (WI5, 260 Meter) und Rattenpissoir (WI5+, 170 Meter) sowie die steilen Linien des Pingu (WI5+, 200 Meter) und der Säule (WI 6, 140 Meter).

Zwischen dem schönen Bäretritt (WI5+, 70 Meter) und den bissigen Haizähnen (WI5+/6-, 180 Meter) kann man die wunderbare Reise ins Reich der Eiszwerge (WI6+.M6+, 175 Meter) antreten. Diese versammeln sich in einer Höhle vor der Traverse. Vorbei an niedlichen Eisskulpturen – bis erneut ein schöner Riss ins Eis führt.

Neben den hier aufgeführten Touren gibt es noch jede Menge weitere, mit denen man sich die Zeit bis zum Abendessen vertreiben kann. Mit müden Armen trifft man sich schließlich am Abend im „Rendez-vous“ wieder, der klassischen Bleibe zum Eisklettern in Kandersteg. Hier gibt es die Möglichkeit, relativ günstig im Touristenlager zu übernachten. Außerdem hat man hier die Chance zum direkten Infoaustausch mit anderen Eiskletterern.

Entspanntes Klettervergnügen am Almenalpfall

Wer dem Trubel im Öschinenwald entgehen möchte, sollte einen Blick auf die andere Talseite werfen. Dort befindet sich der sonnige Almenalpfall (WI4, 235 Meter), ein ebenfalls sehr lohnendes Ziel. Allerdings sollte man aufgrund der südwestseitigen Exposition schon im Vorhinein die Eisbedingungen sehr genau prüfen.

Nach einem etwas längeren Fußmarsch erschließt man die Touren am Staubbach, wo sich auch die Rübezahl (WI6, 215 Meter) und Blue Magic (WI5+, 180 Meter) befinden. Neben diesen beiden Klassikern finden sich dort auch noch ein paar neue Mixed-Touren, wie z.B. der Finderlohn (WI6.M7/7+, 165 Meter) oder die originelle Lochroute (WI5, 220 Meter).

Jenseits des Öschinensees sticht eine elegante Eislinie schon von weitem ins Auge. Die NIN (WI6+/7-, A2+, 200 Meter), benannt nach der legendären Industrial-Band Nine Inch Nails. Diese gehört zu den etwas anspruchsvolleren, aber auf jeden Fall nicht minder beeindruckenden Routen.

Die Breitwangflue – Rosine im Kaiserschmarrn

So wie die Rosinen in den Kaiserschmarrn gehören (ich weiß, ein ewiges Diskussionsthema), gehört die Breitwangflue zu Kandersteg. An dieser fast 350 Meter hohen Wand befinden sich einige der wildesten Eis- und Mixedtouren im Alpenraum.

Die Breitwangflue im Abendlicht von der Alp Giesenen. | Foto: Franz Mösbauer
Die Breitwangflue im Abendlicht von der Alp Giesenen. | Foto: Franz Mösbauer

An ihr haben sich schon so einige Berühmtheiten ausgetobt: Den Anfang machte Xaver Bongard 1993 mit Crack Baby (WI6, 340 Meter), was mittlerweile zum Eiskletterhighlight unter Kennern geworden ist. Der Betablocker Super (WI7, 300 Meter) hingegen blieb Xaver Bongard trotz mehreren Versuchen verwehrt. Robert Jasper löste dann 1998 das Problem an dieser verrückten Säule. Sie hielt erst kürzlich – im Dezember 2017 durch die Solobegehung von Dani Arnold – wieder in den Medien Einzug.

Das obere Ende der Schwierigkeiten markieren derzeit Touren wie Flying Circus (M10, 165 Meter) oder Ritter der Kokosnuss (M12.WI 5, 165 Meter). Dazwischen gibt es noch einen Haufen weiterer wilder Touren. Relativ spät kam dann noch die für die Breitwangflue recht moderate Metro (WI 6, 130 Meter) hinzu, welche wohl eher zufällig entdeckt wurde und durch einen höhlenartigen Schacht ins Licht nach oben führt.

Auch wir konnten uns der Anziehungskraft der Breitwangflue nicht entziehen und machten uns auf zu Crack Baby. Da die Bahn zur Alp Giesenen unter den Wänden nicht mehr für touristische Zwecke in Betrieb genommen wird, verlängert sich der Anstieg entsprechend auf gut zwei Stunden. Da wir auf die „Pole Position“ hofften, schleppten wir neben dem Eiskletterzeugs auch noch unser Biwakmaterial mit rauf.

Am ersten Stand angekommen, kamen auch schon die ersten „Mitkletterer“ angeschlichen. Spätestens am zweiten Stand begann ich zu fluchen, als der Kollege eines seiner Eisgeräte versenkte – handschlaufenloses Klettern sei Dank – und dieses im mehrmaligen auf und ab suchte. Trotz dieser etwas mühsamen Zwischenfälle haben wir den Ausstieg dann aber schließlich doch noch planmäßig geschafft.

Eisklettern rund um Kandersteg

Luft unterm Hintern - in Kandersteg und Umgebung keine Seltenheit. | Foto: Franz Mösbauer
Luft unterm Hintern – in Kandersteg und Umgebung keine Seltenheit. | Foto: Franz Mösbauer

In der Umgebung von Kandersteg  sorgen auch schwere, gut gesicherte Mixed-Gebiete für laktatgesäuerte Unterarme.

  • Den Einstieg vermittelt das kleine Gebiet Sulwald („Little Vail“), gefolgt von Ueschinen, welches als Ceüse des Mixed-Kletterns bekannt ist. Bekannte Namen wie Markus Stofer, Robert Jasper oder Roger Schäli haben hier eine Reihe schwerer und steiler Mixed-Touren erschlossen.
  • Etwas ab vom Schuss befindet sich das wilde Gasterntal: Hier findet sich z.B. die Bongard-Tour Black Nova (WI 5+, 160 Meter). Doch auch hier tut sich immer mal wieder etwas Neues. So wurde mit Scharf, mit alles? (WI 6.M8, 600 Meter) 2010 eine lange und schwierige Mixedtour eröffnet. In den letzten Jahren wurden die Infos über Neutouren weniger. Dass es noch Potential für findige Erstbegeher gibt, zeigen aber die beiden Neutouren Röstigraben (M10+) und Loch, Keile et Compagnie (M9+), die in diesem Winter 2017/2018 in Oeschinenwald rechts des Bäretritts erstbegangen wurden.

Mein Fazit zum Eisklettern in Kandersteg

Wie man sieht, hat der kleine Ort Kandersteg in puncto Routenauswahl so richtig was zu bieten. Außer vielleicht dann, wenn das Thermometer mal wieder zu früh im Jahr ansteigt. Gefühlsmäßig ist Kandersteg – von der Breitwangflue vielleicht abgesehen – nicht unbedingt ein Kälteloch. So kann es schon einmal vorkommen, dass ein Wärmeeinbruch mitten in der Eisklettersaison dafür sorgt, dass man hier besser keine Eisgeräte mehr schwingen sollte! Zuletzt noch ein Statement zur Eisqualität um Kandersteg. Angeblich hat sich der kanadische Eiskletterer Will Gadd verwundert darüber geäußert, wieso schweizer Eiskletterer überhaupt bis nach Kanada reisen, wenn es in und um Kandersteg so tolle Möglichkeiten gibt!

Die wichtigsten Daten zu Kandersteg auf einen Blick

  • Anreise: Nach Kandersteg gelangt man entweder mit dem Zug – oder mit dem Auto von Norden über Bern bzw. aus dem Rhonetal durch den Lötschbergtunnel.
  • Unterkunft: Zwei Unterkünfte bieten sich an: Das Restaurant „Rendez-vous“ mit seinem Touristenlager oder das Hotel Ermitage.
  • Topo: Eiskletterführer Hot Ice Schweiz – West, Mountain Consulting – The Edition
  • Beste Klettterzeit: Dezember – Februar
  • Höhenlage (Auszug der Sektoren)
    • Öschinenwald: 1.280 Meter
    • Staubbach: 1.500 Meter
    • Breitwangflue: 1.880 Meter
    • Gasterntal: 1.500 Meter
    • Ueschinen: 1.632 Meter

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