Hinweis: Dieser Testbericht stammt aus dem Jahr 2016. Das Produkt wurde überarbeitet, Bergzeit Einkäufer Michael erklärt Dir die Updates der Dynafit Radical ST 2.0 Tourenbindung (Stand Mai 2023).
„Die Radical ST 2.0 gibt es nicht mehr, sie wurde von der Radical abgelöst. Nach vielen Jahren Entwicklung ist die diese eine leichte Tourenbindung für schnelle Tourengeherinnen und -geher mit sehr geringem Gewicht von 340 Gramm“
Michael Hirschmann, Bergzeit Einkäufer
„Das endgültige Aus für Rahmenbindungen“ – so selbstsicher gibt sich Dynafit bei der Beschreibung der neuen Radical ST 2.0 Pinbindung, die seit diesem Winter erhältlich ist. Seit der Erfindung des rahmenlosen „Low Tech“ Bindungssystems durch Fritz Barthel vor 30 Jahren und der bald darauf folgenden Kooperation mit Dynafit wurde die Pin-Bindung kontinuierlich weiterentwickelt und an die Bedürfnisse der Zielgruppen angepasst.
Tourengeher, die auf ein geringes Gesamtgewicht ihrer Skiausrüstung Wert legen, schwören schon seit vielen Jahren auf die Vorteile des Low Tech Systems (geringes Gewicht, Fixierung des Schuhs im Tourenmodus nur am Vorderbacken der Bindung, der Hinterbacken muss somit nicht bei jedem Schritt mit angehoben werden).
Dynafit: Vorreiter bei den Pinbindungen
Mit der Einführung der Radical ST & FT konnte Dynafit vor ein paar Jahren beweisen, dass Pinbindungen auch auf breiten Freerideskiern Sinn machen und den hohen Belastungen bei rasanten Abfahrten und Sprüngen standhalten können.
Aber erst mit dem Release der Beast 16 im Winter 2013/14 brachte Dynafit eine zertifizierte Sicherheitsbindung mit Pinsystem auf den Markt. Die war – neben anderen Vorteilen – durch den bis 16 einstellbaren Z-Wert und den rotierenden Vorderbacken der Konkurrenz weit voraus – nur das Gewicht war mit 940 Gramm (pro Bindung gemessen) doch etwas happig.
Mit Version 2.0 der Radical will Dynafit nun niedriges Gewicht und TÜV-zertifizierte Sicherheit in einer Bindung vereint haben. Die rotierenden Vorderbacken sollen seitliche Schläge besser aufnehmen können als starre Systeme und in Kombination mit der neuen Auslösevorrichtung für mehr Sicherheit im Fall des Fallens sorgen.
Das klingt ja alles schön und gut, aber wirken sich die technischen Verbesserungen auch positiv auf’s Fahrverhalten aus? Da ich auf meinen Tourenskiern seit einiger Zeit sowohl die Beast 16 als auch die Radical 1.0 in Verwendung habe, war ich sehr gespannt auf den direkten Vergleich der alten mit der neuen Generation von Dynafit Bindungen.
Haptik, Optik und Verarbeitung stimmen
Erster Eindruck: Wow, edel verarbeitet! Die „alte“ Radical wirkte mit ihren polierten Schmiedeteilen ja schon sehr hochwertig. Version 2.0 setzt da noch einen drauf. Man kann regelrecht fühlen, dass man hier ein Produkt höchster Ingenieurskunst in den Händen hält – da wackelt oder knackt nichts, die Toleranzen sind minimal gehalten, und die Farbgebung wirkt auch nicht zu aufdringlich. Auch die Plastikteile wirken nicht billig. Das Gesamtpaket ist (zumindest vom optischen/haptischen Eindruck her) sehr stimmig – das muss es bei Preisen weit jenseits der 300er-Marke aber auch sein.
Beim ersten Einstieg in die Bindung folgt dann gleich der nächste Aha-Effekt: Der Schuh findet auf Anhieb den Weg in die Pins am Vorderbacken, so soll’s sein. Ich gebe Druck auf die Ferse, damit der Schuh auch hinten einrastet, bekomme aber kein bestätigendes „Klack“ zu hören, sondern ein eher beunruhigendes Knirschen. Beim Blick nach hinten unten zeigt sich der Grund dafür: Der Schuh steht nicht gerade in der Bindung und kann nicht in die hinteren Pins einrasten. Mir wird kurz unwohl bei dem Gedanken, dass ich schon beim ersten Kontakt eine nagelneue Bindung ruiniert haben könnte, aber dann sehe ich, dass sich der Vorderbacken beim Einstieg in die Bindung etwas gedreht hat und dadurch der Schuh hinten nicht einrasten konnte. Puh, nochmal Glück gehabt…
Video: so funktioniert die Dynafit Radical ST 2.0 Bindung:
Die Dynafit Radical ST 2.0 zeigt bei schwierigen Abfahrten, was sie kann
Nach dieser kleinen Startschwierigkeit mache ich mich in Sportgastein auf den Weg die Piste hinauf – dem niederschlagsfreien Dezember sei Dank war zu Beginn des Testzeitraums keine Tour im Gelände möglich. Bergauf klappt alles wie von meiner Radical 1.0 gewohnt, die Steighilfen lassen sich mit etwas Übung schnell mit dem Stock einlegen und so nähere ich mich mehr oder weniger zügig dem fast schneefreien Gipfel.
Nach einer kurzen Verschnaufpause folgt dann endlich die Abfahrt – zuerst muss aber die Bindung vom Auftstiegs- in den Abfahrtsmodus umgestellt werden. Das klappt innerhalb von Sekundenbruchteilen ganz einfach durch kräftiges Drehen des Hinterbackens um 90° gegen den Uhrzeigersinn. Danach steigt man wie gewohnt zuerst vorne in die Bindung, drückt dann die Ferse fest in den Hinterbacken und wird von einem satten „Klack“ belohnt, das signalisiert, dass die Pins den Weg in die Aufnahmen am Schuh gefunden haben. Das war’s, dem Geschwindigkeitsrausch bergab steht nichts mehr im Weg! Es folgt die nächste Überraschung: Die Radical 2.0 fährt sich spürbar anders als das Vorgängermodell! Das ganze System wirkt nicht mehr so übertrieben starr und unelastisch, sondern fast so gut gedämpft wie ich es von Alpinbindungen und der Beast 16 kenne und schätze. Kleine Schläge werden durch minimale Drehbewegungen des Vorderbackens entschärft, der Anpressdruck von 10 Millimetern am Hinterbacken ermöglicht einen besseren Längenausgleich der Bindung bei Durchbiegen des Skis, durch die reduzierte Standhöhe wird direkter Skikontakt gewährleistet.
Das klingt zwar alles sehr theoretisch, führt aber in der Praxis wirklich zu einem deutlich angenehmeren Fahrverhalten. Es fühlt sich nicht mehr so an, als würde der Schuh in der Bindung zwischen den Pins „schweben“ und gar nicht am Ski aufliegen, wie ich es von der Radical 1.0 kenne. Das System aus Ski, Schuh und Bindung ergibt nun eine viel bessere Einheit und man fühlt sich als Fahrer nicht mehr so merkwürdig vom Untergrund entkoppelt. All diese technischen Verbesserungen führen letztendlich ganz einfach dazu, dass das Vertrauen ins Material steigt. Nervige Gedanken wie „na, hoffentlich fliegt mir bei dem Tempo nicht die Bindung um die Ohren“ verschwinden aus dem Hinterkopf und man steht deutlich sicherer am Ski. Die ideale Skitour findet natürlich bei perfekten Tiefschneebedingungen statt. In der Realität findet man aber doch viel häufiger harte Verhältnisse vor. Genau da spielt die Radical 2.0 ihre Stärken aus und gibt dem Skifahrer viel Sicherheit bei schwierigen Abfahrten.
Mitte Januar konnte ich die Bindung dann endlich auch in den Tiefschnee ausführen, im Gebiet rund um den Hochkönig. Dazu lässt sich aber leider nichts allzu Spannendes berichten – unter traumhaften Bedingungen mit 30 Zentimetern Pulverschnee funktioniert die neue Radical natürlich ebenfalls super, aber das ist ja auch keine Kunst…
Pro & Kontra Radical ST 2.0
Pro
+ deutlich verbessertes Fahrgefühl durch Anpressdruck, höhere Elastizität & geringere Standhöhe
+ spielend leichter Einstieg in den Vorderbacken
+ höhere Sicherheit durch kontrollierte Auslösung am Vorderbacken
+ durch die breite Auflagefläche auch für breite Ski geeignet
+ geringes Gewicht von 599 Gramm pro Bindung
+ tolle Verarbeitung
Contra
– durch den rotierenden Vorderbacken kann sich die Bindung beim Einstieg verdrehen – vor allem im Gelände kann das zur Geduldsprobe werden
– kein einfaches Umschalten vom Geh- in den Fahrmodus wie z.B. bei der Marker Kingpin möglich
– hoher Preis
Fazit
Ich hätte nicht gedacht, dass sich die Unterschiede zwischen den beiden Radical-Generationen so deutlich auf die Abfahrtsperformance auswirken würden. Dynafit wirbt zwar vor allem mit den sicherheitstechnischen Verbesserungen der Radical 2.0 gegenüber der Vorgängerin (TÜV/ISO – Zertifizierungen) – Rotationsvorderbacken, 10 Millimeter Anpressdruck und Sicherheitsauslösung führen aber vor allem zu deutlich mehr Fahrspaß im Gelände und einem sicheren Gefühl auch unter schwierigen Bedingungen.