Nördlich des Alpenhauptkamms geht es in diesem Winter allen Skitourengehern und Tiefschnee-Junkies gleich. Es ist ein nicht enden wollendes Martyrium, das auch die geduldigsten „Der Schnee kommt schon noch“-Propheten auf die Probe stellt – mich eingeschlossen: Der frühe Dezember-Schnee hielt nicht lange, der Traum vom Champagne-Powder war viel zu rasch ausgeschlürft. Uns blieb nichts anderes übrig als zum Klettern zu gehen und zu warten. Und obwohl die Bedingungen beim Felsklettern immer grandios waren, war die Aussicht auf einen Winter ganz ohne Schnee doch irgendwie bescheiden …
Wenn der Schnee erstmal zur Skitour lockt
Seit einigen Wochen können wir uns nun auch nördlich des Alpenhauptkammes zumindest über etwas Schnee freuen. Fast überall liegt er ohne Unterlage auf ski- und snowboardhassenden Steinen – von der Gesteinsart „Pisten-Schifahr“ mal abgesehen. Südlich des Alpenhauptkamms, in Osttirol, Kärnten und Südtirol, schneit es hingegen unaufhaltsam. Letztlich weckt ein Foto in einem Online-Tourenportal mein Interesse: Das Ortschild von Kalkstein wurde vom Schnee verschluckt!
„Gibt es doch nicht, da müssen wir hin. Powder bis über den Kopf!“ Ein Wortwechsel entsteht: „Dem Schnee hinterherfahren ist doch nicht öko…“, will ich sagen – und werde mit einem „logisch“ unterbrochen. „Als Vegetarier brauchst du dir wegen deiner Ökobilanz keine Sorgen machen.“ Ein schlagkräftiges Argument, das mich schnell umstimmt. Wir laden noch ein paar Ski-Besessene aus unserem Freundeskreis ein und schon befinden wir uns zu fünft auf dem Weg nach Osttirol, um dem heiligen Gral dieses Winters nachzujagen.
Offene Münder und zappelnde Skitourenski
Wir rollen durch den Felbertauern. Kaum auf der Alpensüdseite, Richtung Matrei, beginnen sich unsere Mundwinkel beim ungewohnten Anblick weiß strahlender Berge zu heben. Süd oder Nord, Powder oder Gras – es ist alles eine Sache der Perspektive. Aus dem anfänglichen Staunen formt sich ein breites Grinsen, das bei wachsender Schneehöhe Richtung Pustertal zu einem vorfreudigen Sabbern wird. Fünf Skijunkies, die zu lange auf Schneeentzug waren, sinnen einer Überdosis Powpow entgegen.
Unsere Ski beginnen im Kofferraum auch schon ordentlich zu zappeln. Kurzerhand entscheiden wir den wunderschönen Tag für die Umrundung der Drei Zinnen zu nutzen und dafür am Folgetag einige Lines zu fahren. Am steige aus dem Auto aus und setze meinen Fuß auf den Boden in knirschenden Schnee. Das Geräusch löst ein warmes Gefühl aus, das meinen Körper durchströmt. Die Routine des Auffellens und Fertigmachens für die Tour ist Balsam für die Seele.
Drei-Zinnen-Umrundung: Highlight im Hochpustertal
Die Umrundung der Drei Zinnen ist landschaftlich eine der schönsten Touren des Hochpustertales und ein Must-Do. Die unglaublichen Blicke auf die einschüchternden Drei Zinnen, besonders von der Nordseite, müssen jedoch erst verdient werden. Uns ist klar, dass wir unsere Ausrüstung für diese Skiwanderung völlig überdimensioniert haben. Jeder hat seine dicksten Freerider eingepackt und so rumpeln wir im Schneckentempo den langen Taleinzug bis zum ersten Aufschwung dahin. Den steilen Talschluss überwunden, macht es plötzlich auf und die Spitzen der Drei Zinnen beginnen mit jedem Meter zu wachsen.
Nach der Lavarode Hütte zum Refugio Auronzo
Zuerst sehen wir die Spitzen der Großen und Westlichen Zinne, später gesellt sich auch die Kleine mit ins Bild. Das wissende Kletterauge erkennt sofort die Ziele für den Sommer – die Linien von Comici und Hasse-Brandler (Direttissima) – an den Drei Zinnen. An den Westlichen Zinnen ist gut das 40 Meter ausladende Dach zu sehen. Wir genießen die Magie des Augenblicks und freuen uns, dass wir hier sein dürfen.
Mit unseren Powderlöffeln schlapfen wir den nächsten Aufschwung nach oben zum Paternsattel. Als alle versammelt sind steht eine Frage im Raum: „Abfellen? Bei dem Mini-Hang?“ Ich für meinen Teil lasse, auch wenn es nur ein paar Höhenmeter sind, keinen Powderhang aus und felle ab. Kurz in Falllinie laufen lassen, ein kleiner Sprung über ein paar Felsen und dann graben sich die Ski beim ersten Turn dankbar in den gut gesetzten Tiefschnee und es staubt bis ins Gesicht. Ein zweiter Turn geht sich noch aus und schon ist die kurze Abfahrt vorbei. Ausgelassen fahren wir in „Aufstellungsform Wolke“, wie es im Skilehrer-Fachjargon heißt (Sauhaufen würde auch passen), das flache Teilstück über verspieltes Gelände. Auch hier kommen wir nach der Lavarode Hütte für unseren Geschmack viel zu schnell zum Stehen.
Richtung Col di Mezzo die Rinne herunter
Wir ziehen die Felle auf und setzen unsere Skitour auf der Südseite der Zinnen fort, lassen das Refugio Auronzo und die Fahrstraße links liegen und schlagen Kurs Richtung Col di Mezzo ein. Allmählich beginnt es zu dämmern. Eine Stille und Ruhe senkt sich über die Bergwelt der Dolomiten und über uns. Die Sonne versinkt kristallen in kaltem Licht hinter der Bergfront in Richtung Misurina See, als wir den letzten Hochpunkt des Tages erreichen.
Die nordwestlich und nördlich exponierte Abfahrt vom Col di Mezzo hat wie erwartet viel Schnee, der von der Sonne und vom Wind unbeeinflusst blieb. Knietiefer Pulver und ein breiter Hang. Die Ski pflügen mit einer immensen Leichtigkeit schwerelos von Schwung zu Schwung. Die Geschwindigkeit lässt meine Jacke flattern und die kühle Luft zieht um mein Gesicht.
Nach den ersten göttlichen Tiefenmetern verengt sich der Hang und trichtert in einer Rinne, in der auf der rechten Seite ein mächtiger gefrorener Wasserfall herabhängt. Wir packen unsere Stirnlampen aus. Mittlerweile ist es schon richtig Dunkel. Der Himmel ist zwar sternenklar, doch der Mond scheint nicht. Die Rinne wird zunehmend enger und steiler und mich beschleicht das unheimliche Gefühl, dass die Abfahrt womöglich abrupt an einem Felsabbruch endet. Immer steiler wird die Schlucht, allmählich beginnt sie uns zu verschlucken. Langsam tasten wir weiter nach unten, biegen einmal vor einem Abbruch rechts ab und erreichen schließlich den Tiefpunkt des Talkessels. Wir folgen dem offensichtlichen Bachlauf zurück zum Forstweg und rattern auf unserer Anstiegsspur, die bereits gefroren ist, flach zurück zum Parkplatz.
Pizzeria Hans: Kulinarik-Tipp am Fuß der Drei Zinnen
Jetzt muss schnell etwas zum Essen her. Alle haben zu wenig auf der Tour gegessen und dementsprechend herrscht Kohldampf-Stimmung. Für alle, die nicht wissen wo sie nach einer Tour im Gebiet der Drei Zinnen gut dinnieren können, ist die „Pizzeria Hans“ an der Hauptstraße in Toblach in jedem Fall eine Empfehlung. Als wir am Morgen daran vorbeikamen mussten wir – wegen der so gar nicht italienischen Namensgebung – schon gut lachen. „Giovanni“ wäre sicherlich nicht zu weit hergeholt. Doch dem Namen zuwider sind die Pizzen richtig lecker, der Hauswein klasse und das Ambiente ordentlich italienisch. Bier, Wein und noch einen Schnaps aufs Haus oben drauf und schon kann keiner mehr fahren. Auf Hans‘ Parkplatz stellen wir den Bus auf die staßenabgewandte Seite und schichten uns müde und glücklich zu fünft in den Bus.