Einmal zu Fuß oder mit dem Mountainbike über die Alpen – das ist der Traum vieler Bergenthusiasten. Ein Phänomen der Moderne ist die Mehrtagestour allerdings nicht. Von jeher überqueren Menschen die Alpen vorwiegend von Nord nach Süd und umgekehrt. Der große Unterschied zwischen Früher und Heute, zwischen Vormoderne und Moderne liegt in den Beweggründen und in der Art und Weise der Überwindung des felsigen Riegels.
Alpenüberquerung in der Vormoderne: ein notwendiges Übel
Für unsere Ahnen war die Überwindung von Gebirgszügen generell ein notwendiges Übel. Man überschritt die Alpen nicht wegen, sondern trotz der Berge, die als ein natürliches Hindernis West- von Osteuropa und Mittel- von Südeuropa trennen. Man ging auf Reisen, um anzukommen. Gezwungen, den eigenen Körper zur Fortbewegung einzusetzen, suchten die Reisenden Wege durch und nicht, wie heute, in die Natur. Wir empfinden Freude an der (Fort-)Bewegung, nehmen Natur und Landschaft als etwas Ästhetisches wahr, und wir reisen aus innerer Motivation heraus. All das kannten die Menschen früher nicht. Ihre Beweggründe waren von außen auferlegte „Mussmotive“ religiöser, ökonomischer, politisch-hegemonialer, sozialer oder pädagogischer Natur. Im Angesicht der Alpen empfand der Mensch in Mittelalter und Frühneuzeit nur eines: Furcht.
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Die Gartenlaube: illustrirtes Familienblatt, Nr. 15, 1857, S. 205
Eine Art „gottgegebener Umstand“ war die Alpenüberquerung aus religiösen Gründen. Der päpstliche Sekretär Leonardo Bruni zum Beispiel überschritt im Jahre 1414 auf dem Weg von Konstanz zum Konzil die Alpen. Die Berge machten ihm Angst. Machtpolitische Erwägungen zwangen König Heinrich IV. 1077 zum berühmten Gang nach Canossa. Nur wenige Pilger hielten ihre Fahrten schriftlich für die Nachwelt fest, so der Dominikaner Felix Fabri, der im Jahr 1483/84 von Ulm über Innsbruck nach Venedig reiste und den Anblick der Alpen mit ziemlicher Sicherheit nicht im positiven Sinne „überwältigend“ fand.
Auch den Händlern, Kaufleuten, Säumern, Handwerksgesellen, Studenten, Schmugglern und dem Militär standen die Alpen im Weg. Die Notwendigkeit des Handels trieb den Kaufmann allseits der Alpen zum Aufbruch. Säumer waren meist Bergbauern, die im Nebenerwerb den Transport von Nachrichten sowie von Waren auf dem Rücken von Saumtieren und menschlichen Kraxenträgern sicherstellten. Da viele Arbeitstechniken nur in der Fremde zu erlernen waren, waren auch Handwerksgesellen gezwungen zu wandern. Junge Scholaren reisten zu bekannten Gelehrten und zu den wenigen Universitäten auf dem europäischen Kontinent.
Gefahrvolles Reisen auf Pässen und Wegen durch „terra incognita“
Zur Zeit der Römer war aus praktischen und strategischen Gesichtspunkten ein Netz an gepflasterten Straßen entstanden, das nach dem Untergang des Reiches nur noch in Teilen erhalten blieb. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Via Claudia Augusta. Die im Jahr 15 vor unserer Zeit erbaute Heerstraße verband einst die Donauregion mit der Adria. Durch intensive Frequentierung bildeten sich von Tal zu Tal wie quer über die Alpen weitere Wege: Saumpfade, Handelsrouten, Pilgerwege und Militärstraßen.
Einige von ihnen überdauerten durch regelmäßige Nutzung und Instandhaltungsbemühungen die Zeit. Als Übergänge dienten die natürlichen Trennungs- und Verbindungsstellen, so die Pässe St. Bernhard, Simplon, Gotthard, Brenner, Reschen, Mont Cenis, Lukmanier, Septimer, Semmering und Splügen. Hospize an den Pässen boten den Reisenden Unterkunft und Schutz.
Ansonsten waren die Alpen „terra incognita“ und trotz der Wege und Routen – so sie denn die allwinterlichen Lawinen- und Murenabgänge überstanden hatten – und trotz der Führer und Träger, die ihre Dienste längs der wichtigsten Alpenpässe anboten, stellte die Überquerung außerordentlich hohe Anforderungen an die physische und psychische Konstitution der Reisenden.
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Der Einsatz von Zug-, Reit- und Lasttieren war vor allem in der wenig oder auch gar nicht erschlossenen alpinen und hochalpinen Landschaft nur sehr eingeschränkt möglich. Das Überwinden von Flüssen, Sümpfen, Mooren oder Schluchten war allgemein ein Problem. Fehlten Brücken und waren die Pfade steil und ausgesetzt, zerlegten die Reisenden vor der Überquerung der Alpen ihre Kutsche in Einzelteile, transportierten sie auf dem Rücken von Lasttieren und bauten sie jenseits des Gebirges wieder zusammen.
Meist bewegten sich die Menschen per pedes auf kaum gebahnten, an Hängen entlangführenden, meist sehr steilen Pfaden fort. Unwirtliches Wetter führte in Kombination mit unzweckmäßiger Kleidung und unzureichendem Schuhwerk, das wenig Halt auf nassen Steinen und schlammigem Untergrund sowie kaum Schutz gegen Nässe und Kälte bot, zu Stürzen, Unterkühlungs- und Erfrierungszuständen. Dass die Schweizer Nord-Süd-Verbindung durch die Bündner Alpen Viala Mala – böser Weg – genannt wird, zeigt den Charakter einer solchen Unternehmung.
Aufbau von Infrastruktur in der Zeit des europäischen Alpenerlebnisses
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts brach mit der Moderne die Zeit des europäischen Alpenerlebnisses an. Saumwege wurden zu Straßen ausgebaut, so der alte Saumweg über den Brenner und über den Arlberg. Zunächst reist man zu Pferde und in der Kutsche und nicht einmal hundert Jahre später mit der Eisenbahn in die Alpenregion und über sie hinweg. Als Touristen bereisten die Menschen schließlich auch mit dem eigenen Auto die Berge der Alpen. Sie kamen freiwillig, um sie zu durchwandern und zu ersteigen. Alpen- und Wandervereine legten gekennzeichnete Wege zu Hütten, Höhenwege sowie vollständig versicherte Gipfelsteige und Gratwege an. Am Berg und in den Tälern entstanden Nächtigungsmöglichkeiten für jeden Geschmack und Geldbeutel.
Bergzeit
Alpenüberquerung heute, oder: die Qual der Wahl
Diese Infrastruktur bildet bis heute das Gerüst für das Abenteuer einer Alpenüberquerung, das sich grundlegend von den Unternehmungen früherer Zeiten unterscheidet. Das „Muss“ von einst ist jetzt eine Option. Motive wie „Spaß“, „Sporttreiben“, „Auszeit vom Alltag“ und „Naturgenuss“ haben die „Mussmotive“ abgelöst, der Einsatz des Körpers dient dem Selbstzweck. In welcher Weise der moderne Reisende seinen Körper zur Fortbewegung einsetzen möchte, ob die Tour zu Fuß oder mit dem Rad erfolgen soll, ob er sein Gepäck bei sich tragen oder im Begleitfahrzeug transportieren lassen will, ist ihm in der Regel selbst überlassen. Auch die Route und damit den Schwierigkeitsgrad, die Form der Nächtigung, die Ausrüstung, den Reisepartner und weiteres mehr wählt er nach Belieben.
Kurz: Der Alpentraversant von heute hat die Qual der Wahl. Die Reiseliteratur hält einen großen Pool an Möglichkeiten bereit, aus eigener Kraft die Alpen von Nord nach Süd oder von Ost nach West zu queren.
Bergzeit
Bergzeit
Von der relativ einfachen Wanderung vom Tegernsee nach Sterzing (7 Etappen, 144 km) bis hin zur Ost-West-Weitwanderung von Wien nach Nizza (95 Etappen, 1.900 km) oder gar von Triest bis nach Monaco (120 Tage, 142.000 Hm, 2.540 km) ist für jedes Können und jeden Geschmack etwas dabei. Dies gilt auch für Radfahrer, genauer: für Rennradfahrer, für Gravelbiker und für Mountainbiker. Größtenteils verlaufen die Routen in Nord-Süd-Richtung, einige wenige auch von Ost nach West wie die Freeride Tour vom Watzmann zum Genfer See (18 Tage, 1.300 km, 50.000 Hm).
Während die einen Transalp-Touren den Fokus auf lange und anspruchsvolle Anstiege legen, konzentrieren sich andere Vorschläge auf die Überwindung der Höhenmeter mittels Aufstiegshilfen, so dass der Biker Downhills und Trails ausgeruht unter die Räder nehmen kann. Eine der nach wie vor populärsten Routen ist die Römerstraße Via Claudia Augusta. Sie hat die Zeit überdauert. Wo früher Soldaten, Kuriere und Saumtiere sich quälten und fürchteten, suchen heute Mountainbiker und Wanderer aus freien Stücken nach Natur, Ruhe und dem ultimativen Spaßfaktor.
Alpenüberquerung zu Fuß: Die schönsten Routen im Vergleich
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